Wer verreist, kennt in der Regel das Reiseziel. Man hat sich vorbereitet, geplant: Wann wird man wo sein? Was benötigt man für die Reise? Angefangen vom Pass bis zur geeigneten Kleidung, Sonnenschutzmittel kann das je nach Ziel und Reisedauer recht vieles sein. Es empfiehlt sich, darüber nicht erst nachzudenken, wenn man etwas konkret benötigt. Steht man z.B. ohne Pass an der Grenze, kann die Reise schon zu Ende sein, bevor man sein Ziel überhaupt gesehen hat. Überlegungen für Planung und Umsetzung von großen Projekten sind im Grundsatz sehr ähnlich, wenn auch meist deutlich komplexer.
In Wirtschaftsunternehmen hat es sich deshalb bewährt, in regelmäßigen Abständen die eigene Position und den geplanten Weg immer wieder neu zu analysieren, Stärken / Schwächen und deren Ursachen auf den Grund zu gehen und die Unternehmensziele auf Erreichbarkeit zu überprüfen. Auf dieser Grundlage werden bestehende Ziele, wenn nötig, adjustiert und in Teilziele der Mitwirkenden übersetzt – in einem Unternehmen sind das vor allem die Fachabteilungen. Großes Augenmerk wird darauf gerichtet, dass die Fachabteilungen und weiteren Beteiligten definieren, auf welchem Weg die Ziele erreicht werden sollen. Auch Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen (produzierte Menge, Personalbedarf und -qualifikationen, Anforderungen an die Infrastruktur etc.) werden definiert. Aus dem Vergleich der Analyse des aktuellen Zustands mit den zur Zielerreichung notwendigen Voraussetzungen ergibt sich üblicherweise eine Lücke, zu deren Schließung geeignete Maßnahmen definiert werden. Diese Maßnahmen sind – stark vereinfacht dargestellt – die Unternehmensstrategie.
Wer mit solchen Prozessen in der Wirtschaft vertraut ist, blickt schon seit einer Weile befremdet auf unser deutsches Bildungswesen. Seit Jahren überschlagen sich Meldungen über gravierende Defizite unserer Schulen im internationalen Vergleich. Es mangelt sicherlich nicht an Wortmeldungen aus der Politik und Kommentaren in den Medien, dennoch fehlen in der politischen Debatte bis heute erkennbaren Konzepte, wie solche Defizite in einer strukturierten Weise erfolgreich, umfassend und nachhaltig behoben werden können. Wenn überhaupt Maßnahmen ergriffen werden, sind sie auf i.d.R. begrenzte, oberflächliche und kurzfristige Effekte ausgerichtet.
Bildungsorganisation: Veränderungen nur, wenn alles beim Alten bleibt
Es wird zudem deutlich, dass ein großer Teil der öffentlichen Bildungsorganisation auf Konservierung der bestehenden Inhalte und Strukturen beharrt. Moderne Entwicklungen werden ignoriert, oder es wird sogar versucht, veränderte Gegebenheiten im Alltag aus den Schulen zu verbannen. Statt darüber nachzudenken, ob Neuerungen wie Handys oder KI sinnvoll in den Unterricht einbezogen werden können, kam von einigen Bildungsverantwortlichen sofort reflexartig die Frage auf, ob man das nicht verbieten müsste (ja, es gibt auch mehr und mehr fortschrittliche Menschen, leider noch ohne große Wirkung auf die Politik). Durchgreifende Änderungen der Bildungskonzepte werden verhindert, die wenigen überhaupt zugelassenen strukturellen Maßnahmen wie z.B. das G8 scheiterten. Kläglich! Die Reduktion der Gymnasialausbildung von 9 auf 8 Jahre zeigte auch recht deutlich die konzeptionellen Defizite des Umgangs mit Neuerungen: Neues darf Altes auf keinen Fall verdrängen, bestenfalls werden Ergänzungen akzeptiert. Statt also die Lehrpläne zu verschlanken, wurden die Lehrpläneinhalte von 9 Jahren auf 8 Jahre verteilt, was wie zu erwarten zu einer Überforderung der Schülerinnen und Schüler, darüber hinaus auch oft von Lehrerinnen und Lehrern führte. Das Scheitern des G8 war völlig ohne Kristallkugel vorhersehbar, und nicht wenige Lehrkräfte, Schulen, aber auch Elternverbände und Teile der Wirtschaft haben schon vor seiner Einführung exakt vor diesen Problemen gewarnt.
Wäre das G8 das einzige Defizit einer ansonsten zumindest im europäischen Vergleich wettbewerbsfähigen Bildungsorganisation geblieben, könnten wir uns halbwegs entspannt zurücklehnen. Leider ist es aber nicht das einzige, leider nicht einmal das gravierendste Problem in der deutschen Lern- und Lehrlandschaft.
Der Digitalpakt: money for nothing?
Ende der 2010er-Jahre wurden endlich offenkundige Rückstände in der Digitalisierung des Lernens und Lehrens erkannt, es wurde ein mit 5 Milliarden € ausgestatteter Bildungspakt ins Leben gerufen. Es folgte ein großes Erstaunen der Bildungspolitik und der Öffentlichkeit, als diese Mittel nur sehr zögerlich abgerufen wurden. Dabei war das nur eine logische Folge des Vorgehens: statt Schulen inhaltlich/fachlich zu unterstützen, wurden lediglich Gelder unter oft unerfüllbaren Bedingungen bereitgestellt. Selbst da, wo Hardware beschafft wurde, fehlt für weniger IT-affine Lehrkräften ein angemessenes Training/Coaching.
Und wer sich etwas tiefer mit digital unterstütztem Lernen befasst, ist manchmal noch erstaunter, für was und von wem diese Mittel u.a. ausgegeben wurden. Das Land NRW beschaffte z.B. für 2,6 Millionen € eine 3-Jahres-Lizenz Online-Ausgabe des Brockhaus-Lexikons, was im Hinblick auf digitale Unterstützung des Lernens in etwa so fortschrittlich war wie es die Umstellung der Dampfmaschinen von Kohle- auf Erdölverfeuerung gewesen wäre.
Lehrkräftemangel – wie langsame Entwicklungen uns überrennen
Zuletzt folgte die scheinbar überraschende Erkenntnis, dass es deutschlandweit akut und dauerhaft einen gravierenden Mangel an Lehrkräften gibt. Man stellt fest, dass die Lehrkräfte aus den geburtenstarken Jahrgängen Ende der 1950er und 1960er Jahre (die „Boomer“) in Kürze das Rentenalter erreichen, die aktuellen Engpässe sich somit in den nächsten Jahren noch weiter verschärfen werden. Hinzu kommt, dass an den Universitäten nicht genügend Studierende das Ziel „Lehramt“ gewählt haben, um das Ausscheiden der Boomer auch nur annähernd zu kompensieren. Kurzfristig wird nun hektisch versucht, durch Reduktion von Teilzeitarbeit, die Beschäftigung von Quereinsteigern und anderen Notmaßnahmen die Unterrichtsversorgung zumindest nominal aufrecht zu erhalten.
Für viele ist die Entstehung eines derart dramatischen Engpasses nicht nachvollziehbar, denn die Planung des Bedarfs an Lehrkräften gehört aus der Sicht von Unternehmensplanern zu den einfacheren Herausforderungen:
- die Vorlaufzeiten für die Planung von Geburt bis zum Schuleintritt sind mit 6-12 Jahren (10-12 Jahre: weiterführende Schulen) recht lang
- als „Mindestwert“ sind diese Schülerzahlen sehr stabil
- der Zeitpunkt des planmäßigen Ausscheidens von Lehrkräften ist leicht zu ermitteln
- fehlender Nachwuchs ist angesichts einer extrem langen Ausbildungsdauer von 5-7 Jahren (Studium plus Referendariat) sehr frühzeitig erkennbar
Natürlich gibt es auch Unsicherheiten, z.B. durch Migration und Flucht erhöhte Kinderzahlen, vorzeitiger Ausstieg von Lehrkräften aus dem Beruf sowie Studienabbrecher. Aber: die betreffenden Trends haben sich nicht substantiell von einem Tag auf den anderen geändert. Migration ist spätestens seit 2015 ein Thema. Die im Vergleich zu den pensionierten Lehrkräften zu geringen Studienzahlen hätten schon vor Jahren erkannt und zu Maßnahmen führen müssen, und hohe Zahlen früh ausscheidender Lehrkräfte und Studienabbrecher sind nicht neu. Es bleibt also unverständlich, wie ein solch gravierendes Problem überhaupt entstehen konnte, tolerabel wären allenfalls kleinere temporäre Defizite.
Wenn die IT die Hausaufgaben macht
Verlassen wir die Welt von Zahlen und Planung, schauen wir auf die Wahrnehmung von Veränderungen unserer Welt: bis Anfang 2023 oft unbeachtet blieben zahlreiche Veränderungen von Alltag, Lernen und Arbeitswelt durch die Digitalisierung. Erst als ChatGPT als kostenloses System mit künstlicher Intelligenz veröffentlicht wurde, das in der Lage ist, komplette Aufsätze zu schreiben, wurde in der Breite der Bildungslandschaft wahrgenommen, dass bisherige Lern- und Übungsstrukturen nicht mehr funktionieren. Die durch chatGPT offenbar schockartig aufgenommene Erkenntnis: Hausaufgaben, also die Übung des im Unterricht vermittelten Stoffs, können von Computern fast fehlerfrei erledigt werden. Auch Referate der KI seien ja nicht mehr unbedingt Leistung der Schülerin oder des Schülers. Es sei also unsinnig, so etwas zu benoten.
Richtig, aber für Internet-affine Menschen nicht ganz so neu! Viele Referate finden Schülerinnen und Schüler seit über 20 Jahren im Netz, sie wurden und werden heruntergeladen und entweder unverändert oder modifiziert als eigene Arbeit präsentiert. Das Angebot solcher Webseiten ist heute riesig groß, und selbst, wenn die Ausgangssprache nicht die richtige ist, lässt sich auch ein langer Text mit Online-Tools problemlos übersetzen. Noch älter die Erkenntnis, dass Hausaufgaben zuweilen auch von den Eltern „begleitet“ werden. Ich erinnere mich an einen kürzlichen Fall, wo eine Lehrerin mit der Mutter eines Schülers über die Bewertung eines Aufsatzes diskutieren musste, den offenkundig diese Mutter geschrieben hatte. Neben eindeutig nicht jugendlichen Formulierungen im Text hatte das Kind keine Ahnung, was in dem Text stand. Hausaufgaben und Referate / Präsentationen, die nur abgelesen werden, waren nie gesichert alleinige Schülerleistung, das ist mit KI heute nicht neu, sondern nur noch deutlicher geworden. Damit können und sollten wir das bisherige Verständnis zur Rolle von Hausaufgaben und Referaten allerspätestens jetzt ad acta legen.
Dabei sind nicht einmal die aktuellen Probleme das eigentlich Beunruhigende. Fatal ist, dass unser Bildungssystem derzeit an keiner Stelle erkennen und hoffen lässt, dass man in der Lage ist, konzeptionelle und strategische Veränderungen zu durchlaufen und zu steuern.
Der Bildungsgipfel im März 2023 – wenn oben unten ist
Der „Bildungsgipfel“ des BMBF im März 2023 hat einmal mehr verdeutlicht, wie wenig die Lösung der Misere derzeit im Mittelpunkt steht, und wie wenig professionell die Politik dabei agiert. Schon das gewählte Format kurzer Podiumsdiskussionen in drei Stunden ist angesichts der Komplexität des Themas und der noch völlig unstrukturierten Analyse der Lage nicht geeignet, um Auswege aus der Krise aufzuzeigen. Auch die Auswahl der Teilnehmer erscheint oberflächlich, es gab unter anderem Kritik an unzureichender Einbeziehung von Lehrerinnen und Lehrern und anderen Gruppen. Hier zeigt sich ein tiefer Mangel an Verständnis, wen man für tiefgreifende Veränderungen alles ins Boot holen muss.
Die auffällig mangelhafte Vorbereitung der Veranstaltung lässt vermuten, dass vordringlich das politisch-taktische Ziel verfolgt wurde, für das BMBF die Führungsrolle beim Krisenmanagement zu reklamieren. Das belegt auch, dass die präsentierten „5 Thesen für eine neue Zusammenarbeit in der föderalen Bildungspolitik“ weder mit den Bundesländern, noch anderen Gruppen oder Institutionen abgestimmt war – das Papier drückt alleine die Position des BMBF aus. Im Übrigen ist die föderative Struktur der Bildungspolitik zwar ein großes, aber bei weitem nicht das einzige, nicht einmal das wichtigste Problem.
Die Haltung der Bundesländer wiederum zeigt, dass deren Fokus auf der Sicherung der eigenen Entscheidungsmacht liegt, sie der Bundesregierung hier so wenig Mitsprache wie möglich gestatten wollen. Das zeigt schon die Teilnahme von nur zwei Kultusminister(innen). Schwache Vorbereitung, kurze Vorlaufzeit und formale Unzulänglichkeiten bei der Einladung mögen ja erklären, dass nicht alle KM teilnehmen konnten, aber dass parteiübergreifend vierzehn von sechzehn KM nicht teilnehmen, deutet doch sehr auf eine abgestimmte Verweigerung hin.
Offenbar liegt der Fokus der Bildungspolitik also darauf, die eigene Machtposition auszubauen bzw. im Falle der Länder sie zu konservieren. Dabei ist tatsächlich einigermaßen egal, wer auf dem Fahrersitz sitzt, solange diese Person oder Institution einen Führerschein und „Fahr-Erfahrung besitzt“. Es tut mir leid, wenn ich in dieser Hinsicht bislang nicht wirklich jemanden aus der Bildungspolitik benennen könnte, der oder die bewiesen hat, im übertragenen Sinne diese Voraussetzungen zu erfüllen.
SWK: Wissenschaft ohne Evidenz
Eine zentrale Ursache der Bildungsprobleme liegt darin, dass die Entscheidungsträger zahlreiche Zusammenhänge und Ursachen offenbar nicht (er)kennen. Einzelbeobachtungen und anekdotische Dinge bestimmen vielerorts die politische Diskussion, wo systematisches Monitoring und fundierte Analyse fehlen. Selbst Institutionen wie z.B. die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) – ein Gremium zur Unterstützung der Kultusministerkonferenz – tragen bislang wenig dazu bei, die Herausforderungen umfassend zu beschreiben und realistische Lösungen zu erarbeiten. Nehmen wir deren „Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel“: das Dokument weist massive systematische Mängel und oberflächliche Auseinandersetzung mit wichtigen Aspekten auf. Es ist daher als Beitrag zur Lösung von Problemen leider weitgehend unbrauchbar.
Fatal ist bereits, wenn die SWK feststellt „Das Problem des Lehrkräftemangels wird aller Voraussicht nach in den kommenden 20 Jahren bestehen bleiben“ und sich dann auf Maßnahmen fokussiert, die bestenfalls kurzfristige Engpässe minimieren können (Reduktion Kurzarbeit, Reduktion Altersermässigungen, Verschiebung des Renteneintrittsalters, …). So löst man nichts; oder will die SWK ernsthaft versuchen, Lehrkräfte 20 Jahre mehr arbeiten zu lassen, oder die Boomer-Generation 20 Jahre später in Rente zu schicken? Wer langfristige Probleme lösen will, muss Strukturen grundsätzlich ändern.
Wo die SMK aber Strukturänderungen vorschlägt, beschränkt sie sich darauf, Ansätze auf dem Niveau schlechter Wikipedia-Einträge zu beschreiben, ohne aber auf deren Voraussetzungen und Konsequenzen hinzuweisen. Sicherlich können beispielsweise Hybridunterricht und Selbstlernzeiten – auch in Form von Flipped Classroom – ebenso wie auch die Vergrößerung von Lerngruppen Auswirkungen auf das benötigte Volumen der Lehrkräfte haben. Die Konsequenzen dieses Ansatzes aber verschweigt die SWK, denn dazu müssen in den Schulen nicht nur die digitalen Voraussetzungen geschaffen werden, es erfordert auch erhebliche Anpassungen der übrigen Schulinfrastruktur. Klassenräume müssen vergrößert, zusätzlich Räumlichkeiten für stilles Selbstlernen und Gruppenarbeit geschaffen werden. Die digitalen Anforderungen wie Schülertablets, ausreichende Bandbreite von WiFi und Internet-Anbindung sowie ein Helpdesk für Trouble Shooting verstehen sich ohnehin von selber. Zudem müssen die Aufgaben der Lehrkräfte/Lernbegleiter(innen) in diesem Kontext neu definiert werden, bevor man überhaupt abschätzen kann, ob der Personalbedarf letztlich tatsächlich geringer ist als heute.
In anderen Aspekten finden sich nicht aufgelöste Widersprüche. Einerseits hebt die SWK z.B. hervor, wie wichtig gut ausgebildete Lehrkräfte und Qualität des Unterrichts für den Lernerfolg sind, andererseits schlägt man vor, die Eintrittsvoraussetzungen für Lehrkräfte zu reduzieren.
Großes Befremden haben auch die Vorschläge zur verbesserten Gesundheitsvorsorge für Lehrkräfte hervorgerufen, weil das den Anschein erweckte, auf diesem Weg sollen die physischen und psychischen Grenzen von Lehrerinnen und Lehrern so weit erhöht werden, dass sie Mehrarbeit besser verkraften. Die SWK zitiert in diesem Zusammenhang diverse Untersuchungen, die eine besonders hohe Belastung der Lehrerinnen und Lehrer sowie daraus abgeleitete Konsequenzen wie erhöhte Krankheitsquoten und vorzeitiger Ruhestand belegen. Statt aber die Ursachen genauer zu beleuchten und Maßnahmen für Lehrkräfte daran zu auszurichten, lässt man solche Analysen aus und präsentiert gleich einen Lösungsvorschlag, wobei man implizit unterstellt, das die Belastbarkeit der Lehrkräfte zu gering sei – was aber eine völlig unbewiesene Behauptung wäre. Ein solches Vorgehen ist unzulässig und vor allem schlichtweg unwissenschaftlich.
In diesem Zusammenhang hat die SWK schließlich auch entdeckt, dass nicht alle Lehrkräfte gleichermaßen engagiert sind. Man schreibt: “ In anderen Studienkontexten gibt es allerdings auch Hinweise darauf, dass gut ein Fünftel der Lehrkräfte eine hohe Distanzierungsfähigkeit, niedrige Resignationstendenz und insgesamt hohe Lebenszufriedenheit – bei gleichzeitig geringer Bedeutsamkeit der Arbeit – aufweist, was mit entsprechend geringen gesundheitlichen Problemen einhergeht (Klusmann et al., 2006; Schaarschmidt et al., 1999).“ Lassen wir dahingestellt, wie präzise diese Messung ist, nehmen wir einmal an, das träfe so zu. Jedes Wirtschaftsunternehmen, jede Personalabteilung weiß, dass es unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leistungsstarke, aber auch leistungsschwächere gibt. Wo dass ein größeres Problem darstellt, wird aber dann erst einmal versucht, Lösungen zu finden. Ein insgesamt recht erfolgreicher Ansatz ist, die zuständigen Vorgesetzten dafür zu sensibilisieren und sie für den Umgang mit diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu motivieren und zu trainieren (für evtl. Kritiker: nein, es geht hier nicht darum, wie man sich von Personal trennt oder es mobbt, denn wenn man weiß, dass nun einmal nicht alle Menschen Selbststarter sind, wäre ja nicht gesichert, dass Nachfolger/innen viel besser arbeiten würden). Was macht die SWK dagegen? Nichts dergleichen! Man stellt das Thema in den Raum und überlässt es der Interpretation des Lesers/der Leserin, was man daraus macht. So eine unvollständige Gedankenkette würde ich bei einer Bachelor-Arbeit definitiv nicht akzeptieren, und von einen Gremium ausgewählter Wissenschaftler(innen) erwartet man definitiv ein Niveau deutlich oberhalb solcher Ansprüche.
Es ist aber nicht alleine die SWK: wo im offiziellen bildungspolitischen Auftrag analysiert wird, stößt man leider immer wieder auf solche unverständliche Schwächen, oberflächliche Betrachtungen und Vernachlässigung von Zusammenhängen. Und: viele wichtige Dinge werden gar nicht analysiert, wobei ich offen lasse, ob man solche Aspekte nicht als wichtig erkannt hat oder vermeiden möchte, dass sie zu unliebsamen Erkenntnissen führen könnten.
So verdanken wir wichtige Erkenntnisse u.a. Universitäten und anderen Institutionen, darunter diversen Stiftungen, die bestimmte Aspekte der Bildung fundierter untersuchen. Darunter finden sich zahlreiche regelmäßige Analysen aktueller Erkenntnisse, ebenso mehrjähriger Trends. Die werden allerdings von der Bildungspolitik nicht immer gerne zur Kenntnis genommen. Oft bleiben deren Erkenntnisse seitens der Kultusministerien gänzlich unkommentiert, dabei wäre es durchaus interessant zu erfahren, warum z.B. Bayern, Thüringen und Rheinland-Pfalz bei politischer Bildung im Ländervergleich nicht-gymnasialer Schulen („5. Ranking Politische Bildung“, Universität Bielefeld) seit Jahren stabil auf den letzten Plätzen liegen, wobei Bayern sogar mit deutlichem Abstand ganz hinten landet.
Die Bildungspolitik ist das größte Problem der Misere
Vergleichen wir die Beobachtungen der Bildungspolitik mit einem Navi, so werden erstaunliche Unterschiede deutlich: Ein Navigationssystem basiert auf der eindeutigen Bestimmung des aktuellen Standortes, fragt dann nach dem oder den Zielen und ermittelt schließlich mögliche Wege dorthin. Erst auf der Grundlage dieser Informationen schlägt es eine Route vor, die nach den selektierten Kriterien die beste wäre. Unsere Bildungspolitik funktioniert derzeit leider anders: man weiß nicht genau, wo man steht, listet eine Reihe denkbarer Ziele auf und sucht dann ein paar Straßenabschnitte heraus, auf denen man gerne fahren möchte. Man kann aber noch nicht losfahren, weil erst einmal diskutiert wird, wer Fahrer(in) ist und wer vorne oder hinten sitzt.
Die Gefahren, die aus diesem Herumirren erwachsen, sind vielfältig und dramatisch. Die Fortführung der bewiesenermaßen seit Jahren unzureichenden Bildungspolitik wird unseren Rückstand gegenüber den meisten anderen Staaten nicht nur weiter erhöhen, uns droht schon in Kürze ein völliger Kollaps an den Schulen – wenn Personalmangel und absehbar steigende Krankheitsquoten nicht einmal mehr die reine Beaufsichtigung der Schülerinnen und Schülern ermöglichen und soziale Benachteiligungen und Defizite in den Sozialkompetenzen von Schülerinnen und Schüler die Unterrichtszeiten auch in Schulen außerhalb der Brennpunkte dominieren.