Wie die digitale, globale Welt die Anforderungen an unsere Schulen verändert

Es ist keine neue Erkenntnis, dass eine veränderte Welt auch zu neuen und veränderten Anforderungen an Schule und Ausbildung führt. Die Herausforderung besteht aber darin, die neue Umwelt zu verstehen, wichtige von weniger relevanten Entwicklungen zu unterscheiden, aber auch positive und erhaltenswerte Elemente aus der bisherigen Welt in die neue zu „übersetzen“.

Diese neue Welt zu verstehen, vorherzusagen, was sich nachhaltig verändern wird, ist nicht immer ganz einfach. Umso mehr, als dass Digitalisierung und Globalisierung sich gegenseitig beeinflussen und die Auswirkungen auch nicht zwangsläufig in allen Regionen der Welt, nicht einmal in allen Teilen einer Gesellschaft völlig identisch sind. Insofern empfiehlt sich ein Blick in Bereiche, die in ihrer Ausrichtung weiter fortgeschritten sind. Im Falle unserer Schulen könnten das andere Länder in Europa und der Welt sein, man findet aber wichtige Erkenntnisse auch in der unmittelbaren Umgebung: in der Wirtschaft.

Dieser Blick ist hilfreich, weil sich Unternehmen infolge des massiven Wettbewerbs meist nicht leisten können, in überholten Strukturen zu verharren, ohne ihre Existenz zu gefährden. Dort gibt es also einen unmittelbaren Druck, auf neue Entwicklungen zu reagieren. Damit schaffen sie Angebote, die letztlich auch die Erwartungen und Ansprüche aller ihrer Kunden verändern. Und diese Kunden sind in einer anderen Rolle auch relevant für Schulen: sie sind nämlich nicht nur Kunden, sondern oft auch Eltern, Schüler oder Lehrer*innen.

In meinen eCommerce-Vorlesungen zeige ich den Studierenden auf, wie Digitalisierung, mobiler Internet-Zugriff und Globalisierung Erwartungen und Ansprüche potentieller Kunden prägen. Diese lassen sich in vier Schlagworten ausdrücken:

  • Everything: man erwartet, umfassende Informationen zu erhalten, mit unterschiedlichen Anwendungen mit jeder/jedem kommunizieren zu können, Waren und Dienstleistungen mit nahezu unbeschränkter Vielfalt nutzen / kaufen zu können
  • Anywhere: was immer man tut, man möchte es unabhängig vom aktuellen Aufenthaltsort machen
  • Individual: Wünsche, Erwartungen, Präferenzen und Fähigkeiten sind individueller als jemals zuvor in der Geschichte der Menschen. Standardangebote sind immer weniger gefragt, wir erwarten, dass unsere ganz persönlichen Interessen und Eigenschaften berücksichtigt werden
  • Now: all das erwartet man nicht demnächst oder nächste Woche, sondern möglichst sofort, jedenfalls ohne große Verzögerung

Diese vier Elemente bilden nicht einen Zeitpunkt irgendwann in der Zukunft ab, sie sind längst alltäglich für einen immer größeren Teil der Bevölkerung in Europa – natürlich insbesondere der jungen Generation von „digital Natives“. Unsere Kinder und Jugendlichen wachsen in einem solchen Umfeld bereits auf, für viele ist die teils reale, teils virtuelle Umgebung völlig vertraut. Für uns ältere, darunter auch den weniger IT-affinen, mag diese Welt fremd und vielleicht sogar etwas bedrohlich erscheinen. Sie ist aber längst Realität und zu einem guten Teil unumkehrbar, deshalb ist es unabdingbar, dass Schulen diese Welt auch in den Unterricht integrieren. Und man stellt recht bald fest, dass damit viele Vorteile verbunden sind.

Was haben nun die vier Begriffe mit Lernen zu tun? Übersetzen wir die Begriffe in die Bildungswelt und schauen uns an, welche Anforderungen sich daraus für die Schulen ableiten lassen.

Everything, der Wegfall von Beschränkungen, ist sicherlich eine der gravierendsten Veränderungen. Wikipedia und zahllose weitere Anwendungen erlauben auf einen früher nicht gekannten Fundus von Informationen zuzugreifen. Früher hatte man nicht ständig alle Brockhaus-Bände dabei, musste also viel Wissen speichern, um es bei Bedarf nutzen zu können. In der digitalen Welt ist Wissen aber kein Engpass mehr. Heute haben wir eine andere Herausforderung: wie können wir dieses nahezu unendliche Wissen nutzbar machen? Wichtig ist, dass unseren Schülerinnen und Schülern ein Gerüst vermittelt wird, in das sie das digital nachgeschlagene Wissen korrekt einordnen können. Statt also im Unterricht Dinge auswendig lernen zu lassen, die genauso an zahllosen Stellen im Internet jederzeit und problemlos gefunden werden können, müssen sie künftig lernen, solches Wissen zu finden und anzuwenden.

Gleichzeitig muss aber auch eine andere Beschränkung fallen: die Gliederung des Lernens in Fächer. Eigentlich keine revolutionäre Erkenntnis, denn unser tägliches Leben gliedert sich ja auch nicht in Fächer. Fächerorientierte Lehrpläne blenden jeweils immer einen Teil der Zusammenhänge aus, überdies sind sie zwangsläufig auch starr und integrieren Neues oft mit Jahrzehnten Verzögerung. Abgegrenztes, rein fächerbezogenes Lernen wird schon lange kritisch gesehen, aber im heutigen Umfeld ist es definitiv obsolet. Hier sind neue und fächerübergreifende Strukturen dringend erforderlich.

Anywhere, also die Entkoppelung des Lernens von einem bestimmten Ort, ist auch kein ganz neuer Ansatz. Eigentlich dürfte längst jeder/jedem klar sein, dass nicht nur in der Schule gelernt wird, sondern „Lernen“ zu unserem alltäglichen Leben gehört und nicht mit dem letzten Schultag endet. Die Digitalisierung erweitert diesen Ansatz aber noch: so wie man mit einem Mobiltelefon überall auch Dinge nachschlagen kann, findet auch Bildung mit mobiler Hardware überall statt. Dieses Lernen beschränkt sich nicht auf schulische Angebote, bezieht diese aber ein, und das geschieht auch umgekehrt. Wir haben in unserem LMS-Angebot auch Informationen über Freizeitangebote integriert, die eine Verbindung zum Thema stehen: so finden unsere Schüler*innen z.B. auch Hinweise auf Museen und interessante Orte in der Umgebung, die Lehrkräfte geben auch Hinweise auf entsprechende Veranstaltungen / Events. Selbst Spielfilme oder Videospiele können Teil eines solchen Lernens sein.

Individual: obwohl im Grundsatz schon bekannt, haben wir während der Schulschließungen sehr deutlich gesehen, wie unterschiedlich Kinder lernen. Lerngeschwindigkeit, aber auch die Aufmerksamkeitsspanne waren noch differenzierter als erwartet, oft auch sehr fachspezifisch. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, war der Zusammenhang zwischen Lerngeschwindigkeit und Lernerfolg dagegen nicht so stark ausgeprägt. Manche Schüler*innen brauchten zwar etwas länger, verfügten letztlich aber über vergleichbare Kenntnisse wie viele ihrer schnelleren Klassenkamerad*innen. Auch das keine neue Erkenntnis, Nadolnys preisgekrönter Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von 1983 beschreibt am Beispiel von John Franklin, dass man durchaus langsam und trotzdem klug und erfolgreich sein kann.

Individuell ist auch der Übungsbedarf: manche Kinder brauchen ein paar Übungen mehr als andere. Mit einer speziellen Förderung, die übrigens nicht, wie in Deutschland üblich, erst ab „ungenügender“ Leistung einsetzen darf, können auch diese Schüler*innen bessere Lernerfolge erzielen.

Individuelle Lernangebote sollen aber auch diejenigen berücksichtigen, die an bestimmten Themen ganz besonders interessiert sind. Natürlich muss dieser Teil freiwillig bleiben, aber Schule darf Lernen auch nicht nur auf die Elemente beschränken, die benotet werden. Gerade hier findet eine wichtige Verknüpfung des Lernens in der Schule mit demjenigen außerhalb statt.

Now, also jetzt oder sofort, ist eine Erwartung, die gar nicht darauf abzielt, Ungeduld zu erzeugen. Nein, es geht darum, auch dann lernen zu können, wenn es gerade nicht auf einem Stundenplan steht. Wissen wird im Gehirn besser verknüpft, wenn das Gehirn Zusammenhänge herstellen kann. Wenn ein Kind beim Besuch der Burg Elz noch einmal nachschauen kann, was im Geschichtsunterricht zum Thema „Ritter und Burgen“ besprochen wurde, oder im Pfahlbaumuseum am Bodensee noch einmal auf die Informationen über die Steinzeit zugreifen kann, erhält der Unterricht sogar noch im Nachhinein einen Schub beim Lernerfolg. Zum „now“ gehört also auch, Unterrichtsinhalte so verfügbar zu machen, dass Schüler*innen sich jederzeit auch außerhalb des Unterrichts mit ihnen beschäftigen können.

Wer nun angesichts der beschriebenen Aspekte unterstellt, das sei zwar alles schön, aber praktisch nicht umsetzbar, hat natürlich Recht, sofern man es ohne digitale Unterstützung versucht. Mit digitaler Unterstützung des Lernens ist heute aber bereits sehr vieles möglich, wir haben für unsere Konzepte bislang die existierende Schulwelt gar nicht einmal auf den Kopf stellen müssen. Dabei verstehen wir unsere Ideen durchaus noch nicht als ultimative Lösungen, sondern sehen es wie Konfuzius: „Auch der weiteste Weg beginnt mit einem ersten Schritt“

Wie die digitale, globale Welt die Anforderungen an unsere Schulen verändert

Veröffentlicht von diggitall

Hochschul-Gastdozent für "Sales & eCommerce" und Aviation-Themen Unternehmensberater

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