Der bekannte Spruch beschreibt, dass große, komplexe Dinge über längere Zeiträume entwickelt werden. Er ist besonders relevant für das digital unterstützte Lernen und Lehren. Man baut innerhalb einer definierten Grundstruktur auf Vorhandenem, Bekanntem auf und überlegt jeweils, wie die folgenden Schritte aussehen sollten – statt das angestrebte Ziel in einer einzigen großen Anstrengung erreichen zu wollen. Dieses Vorgehen ist aus mehreren Gründen auch für die Entwicklung des digital unterstützten Lernens und Lehrens empfehlenswert:
- Um digitale Mittel richtig einzusetzen, hilft es wenig, als Grundlage erst die Bedienung von möglichst vielen Werkzeugen zu lernen. Ich höre regelmäßig die Berichte von Lehrkräften, die nach zahllosen Schulungen von Anwendungen eher frustriert sind. Sie mussten feststellen, dass eine Reihe der „erlernten“ Werkzeuge wenig Nutzen für ihren praktischen Unterricht haben, nicht wenige empfinden deshalb leider Teile ihres Engagements als „verlorene Zeit“.
Das ist eine für unsere heutige Welt recht typische Erfahrung: der klassische Ansatz, erst einmal einen Überblick zu gewinnen und sich dann für bestimmte Methoden und Werkzeuge zu entscheiden, kann bei einer unüberschaubaren Anzahl von Möglichkeiten nicht mehr zielführend sein. Erfolgversprechender ist heute oft der umgekehrte Weg: sich erst zu überlegen, was man für den Unterricht benötigt und dann geeignete Anwendungen zu suchen. Dazu tragen natürlich nicht alleine eigene Überlegungen bei, wichtig ist mehr denn je auch der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, aber auch Menschen aus anderen Branchen - Ebenso unerreichbar ist das Ziel, 1,7 Millionen Lehrkräfte in Deutschland (BfA „Blickpunkt Arbeitsmarkt: Akademikerinnen und Akademiker“, Kapitel 2024, Juni 2024) in absehbarer Zeit so intensiv zu schulen, dass sie alle im weiteren Umfeld der Digitalität wichtigen Grundlagen sicher beherrschen und beurteilen können. Die digitalen Kenntnisse der Lehrkräfte sind – wie in der gesamten Gesellschaft – extrem unterschiedlich. Alle auf ein einheitliches digitales „Mindestniveau“ weiterzubilden, würde einen extrem hohen Aufwand erfordern. Der damit verbundene immense Zeitbedarf würde weder in absehbarer Zeit zu brauchbaren Ergebnissen führen, noch wäre es sinnvoll, die knappen Lehrkräfte durch exzessive Schulungen über Gebühr aus den schulischen Aufgaben herauszunehmen. Ein schrittweises Vorgehen, das in einer initialen Phase die weniger IT-affinen Personen mit ausgewählten Basiskenntnissen vertraut macht, ermöglicht erste Erfolge schon in einem überschaubaren Zeithorizont.
Auf Grundlage einer einfachen Grundstruktur, wie ich sie im Blog 03. vorgestellt habe, können Lehrkräfte dann Schritt für Schritt gezielt weitere ausgewählte Anwendungen erlernen und in ihr Moodle-Buch (siehe Blog 03) integrieren / verlinken - Besonders digital Interessierte werden aber möglichst rasch aufwändigere, komplexere Inhalte entwickeln und nutzen wollen. Dazu gehören z.B. interaktive Übungen, selbst erstellte Medien, Kollaboration/Gruppenarbeit, Projekte, vielleicht sogar eigene HTML-Routinen. Das Moodle-Buch ermöglicht das, legt aber gleichzeitig eine einheitliche Grundlage sowohl für die sehr, wie auch die weniger affinen Lehrkräfte und sorgt so für den lt. Hattie wichtigen gemeinsamen Auftritt der Schule.
Die Einbindung anderer Inhalte lässt sich in einer Moodle-Buchseite auf verschiedene Weise umsetzen und laufend ergänzen oder anpassen:- Die einfachste Variante ist der Link, der beim Klick auf einen Begriff, einen Satz oder ein Bild eine andere Seite öffnet. Diese Möglichkeit bietet zahlreiche Vorteile, sie ist zudem für weniger erfahrene Lehrkräfte besonders geeignet, da sie sehr einfach zu handhaben ist
- Für viele Webseiten ist es recht unkompliziert möglich, sie in eine Moodle Buch-Seite zu integrieren (Embedding). Dabei wird die eingebettete Seite als Teil der Buch-Seite gezeigt. Besondere Funktionen der Buch-Seite ermöglichen auch die einfache Einbettung von Medien wie z.B. Filmen aus Mediatheken der ÖRR oder auch YouTube.
Auch eigen erstellte interaktive Moodle- oder H5P-Inhalte können auf diese Weise leicht in eine Buchseite integriert werden - Da die Buch-Seite auch HTML-Routinen erlaubt, sind sogar speziellere Einbettungen möglich. Das erfordert aber tiefergehende Kenntnisse, ist also eher für besonders interessierte Lehrkräfte geeignet
Leicht zu erlernende Techniken, die gleichzeitig jederzeit und unkompliziert Anpassungen und Ergänzungen erlauben, sind heute und mehr noch zukünftig eine wesentliche Voraussetzung für die nachhaltige Sicherstellung von Lernerfolgen. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen.
Die Digitalisierung hat unsere Welt dramatisch verändert. Die Dynamik, mit der solche Veränderungen geschehen, hat sich massiv beschleunigt. Aktuell entdecken wir z.B. ständig neue Anwendungen, die auf künstlicher Intelligenz (KI) basieren, dabei ist heute noch nicht absehbar, was sie alles bewirken kann.
Dieser schnelle Wandel hat auch Auswirkungen auf unsere Berufswelt. Berufe, Produkte und Dienstleistungen, die noch vor Kurzem besonders gefragt waren, sind bald schon Geschichte. Während derartige Veränderungen früher in Zeiträumen von Generationen abliefen – denken wir an den Kohleabbau und die Dampfmaschine – geschieht das in unserer modernen Welt in kurzen Abständen. Das hat entscheidende Bedeutung auch für die Anforderungen an die Ausbildung – inklusive der Berufsausbildung. Viele Menschen haben noch in der Generation der heutigen Rentner in ihrem erlernten Beruf bis zum Renteneintritt gearbeitet, manchmal sogar in dem selben Unternehmen. Auf die dann beschleunigten Entwicklungen von Technologien und Umfeld wurde mit einer Ausweitung von Fort- und Weiterbildung reagiert, was bis heute insgesamt durchaus funktioniert. Aber: was ist, wenn ganze Branchen verschwinden, weil neue Technologien sie überflüssig machen? Wenn neue Technologien und gesellschaftlich-ökonomische Veränderungen erlernte Inhalte und Kompetenzen nicht mehr erfordert? Dann müssen sich die betroffenen Arbeitnehmer grundsätzlich neu orientieren und das kann noch notwendig sein, wenn man sich kurz vor der Pensionierung befindet. „Lebenslanges Lernen“ wird schon seit längerem postuliert, aber heute und in Zukunft ist es eine entscheidende Grundanforderung an die Menschen. Das hat selbstverständlich einen großen Einfluss auf die Fähigkeiten und Inhalte, die in der Ausbildung vermittelt werden. Immer stärker verschiebt sich der Schwerpunkt von „Inhalten“ zu „Kompetenzen“.
In diesem Umfeld muss die Schule neben dieser bereits grundsätzlich verstandenen Verschiebung der Bedeutung auch flexibler werden, um Lernen und Lehren laufend auf neue Anforderungen ausrichten zu können. Die traditionelle Ausrichtung auf gedruckte Lehrbücher, die infolge der länderspezifisch unterschiedlichen Vorgaben auch recht lange Intervalle für die Überarbeitung haben, können das nicht leisten. Zudem sind viele Schulen finanziell nicht in der Lage, ihre Lehrbücher ständig durch aktuellere Auflagen zu ersetzen. Mein Sohn lernte vor einigen Jahren mit einem Erdkunde-Schulbuch von 2001. Darin wurde ausführlich Äthiopien als ein besonders armes Land beschrieben. Zum Zeitpunkt des Unterrichts war das längst Geschichte, das Land hatte sich erheblich entwickelt und gehört bis heute zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Afrikas. Als mein Sohn sich über verschiedene seriöse Quellen im Web über das Land informieren wollte, stieß er schnell auf diese Entwicklung. Wie viele solcher Entwicklungen bleiben unentdeckt? Und selbst wenn Lehrkräfte solche Dinge entdecken, wie verwirrend bleibt es für die Lernenden, wenn sie sich z.B. auf Prüfungen vorbereiten wollen, aber die Quelle „Schulbuch“ derart unzuverlässig ist?
Lernziele und -inhalte müssen also laufend neu justiert werden. Das beinhaltet ebenso die Berücksichtigung der Erkenntnisse von Lehrkräften aus den Erfahrungen in ihrem Unterricht. Eine entsprechende Aktualisierung gedruckter Werke kann das nicht leisten, es lässt sich nur mit Digitalisierung erreichen. Dabei dürfen wir aber den unbestreitbaren Vorteil der Lehrwerke nicht vergessen: Schülerinnen und Schülern konnten in ihren Schulbüchern jederzeit nachschlagen, wiederholen, sich damit auf Prüfungen einstellen. Digital unterstütztes Lernen und Lehren muss das mindestens gleichermaßen, besser noch umfassender ermöglichen.
Die einfache, aber effektive Strukturierung, die das Moodle-Buch ermöglicht, kombiniert den einfachen, „niederschwelligen“ Einstieg mit der Fähigkeit zur laufenden und einfachen Weiterentwicklung. Lehrkräfte können so jederzeit Erweiterungen und Verbesserungen entsprechend ihres persönlichen Lern- und Erfahrungsfortschritt, eigenen und im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen gewonnenen Erkenntnisse einbauen, inhaltliche Aktualisierungen vornehmen und neue Technologien und Quellen integrieren.
Dabei bleibt der Einstieg einfach, was den initialen Schulungsaufwand für Lehrerinnen und Lehrer gering hält. Die Weiterentwicklung erfolgt differenziert nach persönlichen Schwerpunkten, spezifischen Vereinbarungen in Fachschaften, schulinternen Zielen und Vorgaben der Kultusministerien. Diese Einbindung von Webseiten und damit auch die Integration von externen Quellen ist schnell erlernt und einfach umzusetzen. So wird das eigene Angebot mit einer breiten Vielfalt von Webseiten verknüpft (fachspezifische wie die Bundeszentrale für politische Bildung, übergreifende wie die Bildungsangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Medien aus YouTube etc.). Ebenso können freie und kostenpflichtige Angebote von fokussierten Anwendungen (z.B. fobizz, fellofish, Orthografietrainer, Kahoot!, Mentimeter etc.) und Schulbuchverlagen integriert werden – und bei Bedarf laufend ergänzt oder geändert werden.
Mit der schrittweisen Weiterentwicklung haben wir sehr positive Resultate erzielt. Der Arbeitsaufwand wurde zu Beginn reduziert, in den Folgejahren sogar spürbar vermindert – man greift ja in den Folgejahren auf vorhandenes Material und Übungen zurück. Das sukzessive Vorgehen nimmt auch viel Druck von den Lehrkräften, weil die Philosophie eine andere geworden ist: es geht nicht darum, sofort etwas Perfektes zu erstellen, denn der Fokus liegt darauf, Neues, Erfahrungen und Rahmenbedingungen peu á peu einzubauen. Die durch das Moodle-Buch erstellte Grundstruktur blieb dabei immer aufrecht erhalten.
Mit diesem Konzept blieb z.B. auch der Aufwand für die Anpassungen durch den Umstieg des bayerischen Lehrplans auf den „Lehrplan Plus“ überschaubar. Manches ließ sich mit ein paar Klicks in geänderte Reihenfolgen und Kapitelzuordnung in den Moodle-Büchern lösen. In einigen Fällen waren natürlich neue Inhalte und/oder neue Übungen erforderlich, was stufenweise im Verlauf des Schuljahres ergänzt wurde. Unser Aufwand ließ sich so auf einen Bruchteil dessen reduzieren, was z.B. Schulbuchverlage für inhaltliche Überarbeitung, Abstimmung / Prüfung und Logistik gedruckter Werke benötigten.
In diesem Blog habe ich die Überlegungen dargestellt, wie Lehrkräfte und Schulen von einer schrittweisen Implementierung profitieren können. Das ist natürlich ein wichtiges Element von digital unterstütztem Unterricht. Dabei dürfen wir aber das Kernziel nicht aus den Augen verlieren: die Steigerung von Lernerfolgen. Im folgenden Blog werde ich beschreiben, wie das mit unserem Konzept erreicht werden kann.
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