Hybridunterricht: so hat er bei uns funktioniert

Ein Argument, das häufig gegen Hybridunterricht ins Feld geführt wird, ist der damit angeblich verbundene erhöhte und für Lehrkräfte nicht leistbare Mehraufwand für die Lehrkräfte. Interessanterweise hörte man diesen Einwand selten von den Betroffenen, sondern vor allem von Bildungspolitikern.

Lassen sich solche Behauptungen anhand von Erfahrungen belegen? Bei uns wird teilweise schon seit Wochen Wechselunterricht durchgeführt. Für die Lehrer*innen in meinem Umfeld stieg der Aufwand tatsächlich vorübergehend an, aber eine Verdoppelung der Arbeitszeit, wie es vor kurzem von der NRW-Landesregierung im heute journal postuliert wurde, ist weit entfernt von der Realität. Unterstützung in der Anlaufphase vorausgesetzt, waren auch weniger IT-affine Lehrkräfte mit überschaubarem Aufwand in der Lage, solche Konzepte recht schnell anzuwenden und auch individuelle Anpassungen umzusetzen.

Zunächst ist der Aufwand für digitalen Unterricht abhängig von der Vorbereitung eines fundierten umfassenden Konzepts, Arbeitsteilung innerhalb von Fachschaften sowie Parallelarbeit (Lehrkräfte unterrichten mehrere Klassen im gleichen Fach der gleichen Jahrgangsstufe).

In unserem Fall basierte der Digitalunterricht auf folgender Infrastruktur:

  • Lernplattform Mebis (nur in Bayern verfügbar, lässt sich aber für unsere Zwecke 1:1 durch die freie Software Moodle ersetzen)
  • Messenger mit der Möglichkeit, Schüler*innen, Eltern und Kollegium einzeln und/oder als Sammeladressen anzuschreiben
  • kostenlose Whiteboard-Software
  • Lehrer-eigenes Notebook oder Tablet mit Touchscreen, HDMI-Anschluss, Stift
  • Klassenräume mit Beamer inkl. Audio-Funktion und Dokumentenkamera

Konzept

Die in der Öffentlichkeit gerne zitierte Video-Konferenz erschien uns weder praktikabel, noch sinnvoll:

  • Die Bandbreite des Internet-Anschlusses an der Schule hätte für gleichzeitiges Streaming aus verschiedenen Klassen nicht ausgereicht. Weitere infrastrukturelle Schwierigkeiten wie Bandbreite des schulinternen Netzes LAN bzw. WLAN) und fehlende Aufnahmegeräte in den Klassenräumen wären gleichermaßen Showstopper gewesen
  • Kameras in den Klassenzimmern übertragen ein Bild aus immer der gleichen Position. Das mag für den Betrieb eines Schlaflabors förderlich sein, die Aufmerksamkeit der Schüler*innen geht jedenfalls recht schnell verloren. Außerdem ist fraglich, ob die Tafel in der Übertragung lesbar und der Ton verständlich sind.
  • Rechtliche Probleme schaffen Unsicherheiten, welche Auflagen für ein Streaming von Live-Unterricht zu beachten sind (z.B. Recht am eigenen Bild etc.). Bis heute warten die Schulen auf konkret nutzbare Rahmenvorgaben für Datenschutz, Urheberrecht, Persönlichkeitsrechte etc.
  • Streaming nach Stundenplan stellt viele Familien vor große Schwierigkeiten, denn man benötigt bei parallel übertragenen Schulstunden ein Gerät pro Kind, und möglicherweise sogar einen separaten Raum, damit jedes Kind ungestört lernen und arbeiten kann

Wir haben uns entschieden, auf Video-Konferenzen zu verzichten, dafür folgende Methoden bedarfsgerecht einzusetzen:

  1. Inhalte und Anwendungen, die ohne große „Übersetzung“ sowohl im Präsenz- wie Online-Unterricht parallel verwendet werden können. Das schießt z.B. Lehrfilme ein, aber auch Arbeitsblätter, die im Präsenzunterricht über Whiteboard-Software ausgefüllt und den Beamer übertragen werden. Texte werden Online als Lese-Aufgabe gestellt, im Präsenzunterricht trägt die Lehrkraft vor
  2. Inhalte und Anwendungen werden wechselweise und jeweils nur in einer Unterrichtsform eingesetzt. Während also Gruppe A im Präsenzunterricht Thema 1 lernt, beschäftigt sich Gruppe B online mit Thema 2. In der Folgewoche ist es dann umgekehrt. Das bedingt allerdings, dass die Inhalte keine starre Reihenfolge erfordern
  3. Flipped Classroom, wo das Fach für diese Unterrichtsform gut geeignet ist. Diese Methode muss allerdings vorbereitet werden und erfordert deshalb eine Übergangszeit mit schrittweiser Umstellung. Diese Vorlaufzeit betrug in unserem Beispiel etwa 6 Wochen für die Fächer Geschichte und Biologie

Medien und Anwendungen

Es ist leicht nachvollziehbar, dass gut gestaltete Lehrfilme viele Inhalte wesentlich anschaulicher darstellen können als die Mittel, die einem Lehrer für klassischen Präsenzunterricht zur Verfügung stehen. Sie sind also ein wichtiges Element des Lernens. Das ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer Gestaltung des Unterrichts als 45-minütige Video-Show. Ideal sind kurze Filme mit einer Länge von 5-10 Minuten, die von anderen Methoden gefolgt werden. Unbedingt zu beachten sind Vorgaben zu Urheberrecht und Werbung, beides möglicherweise problematisch bei YouTube-Filmen. Deshalb konzentrieren wir uns auf Angebote der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender und dort insbesondere die Schulangebote (Schule daheim, Schule digital, Planet Wissen etc.).

Website-Angebote können Inhalte sehr anschaulich vermitteln, insbesondere, wenn sie interaktiv aufgesetzt sind. Für nahezu alle Fächer gibt es hier eine kaum noch überschaubare Vielfalt. Einige kostenpflichtige Angebote sind recht gut, wir haben aber darauf verzichtet, weil der Einsatz von den Lehrkräften privat zu zahlen wäre. Das Urheberrecht kann dem Einsatz im Unterricht aber auch bei vermeintlich freien Angeboten im Wege stehen. Deshalb konzentrieren wir uns vor allem auf frei verwendbare Tools wie dem Orthografietrainer.

Lernkontrollen mit automatischer Eingabe-Überprüfung helfen SuS, ihren eigenen Leistungsstand festzustellen, aber auch die Lehrkräfte erhalten einen guten Überblick, wo es noch Probleme gibt. Im Präsenzunterricht werden üblicherweise ein paar Hausaufgaben detailliert überprüft, ein Feedback für jede(n) einzelne(n) Schüler*in ist praktisch nur im Ausnahmefall zu schaffen. Mit digitaler Unterstützung sind Lernkontrollen wesentlich einfacher zu nutzen, können also auch öfter eingebunden werden. Allerdings sollte man den „Big Brother“-Effekt unbedingt vermeiden, denn das Gefühl, ständig überwacht zu werden, wird die Kinder und Jugendlichen eher frustrieren als motivieren. Das lässt sich vermeiden, wenn Übungen ohne Erfassung unbegrenzt oft wiederholt werden können oder Eingaben anonym erfolgen können.

Lernkontrollen lassen sich mit Lernplattformen wie Mebis/Moodle sehr abwechslungsreich gestalten. Quiz, Multiple Choice, interaktive Übungen wie auch Rätsel und andere Varianten ermöglichen die Überprüfung mit einem spielerischen Ansatz. Eine interessante technische Möglichkeit ist übrigens auch die Umfrage: hier lässt sich anonym überprüfen, wie viele SuS ein Thema verstanden haben. Noch spannender sind Umfrage-/Quiz-Tools wie Mentimeter, allerdings lassen die sich ohne entsprechende Schülergeräte nicht im Präsenzunterricht einsetzen.

Schwieriger sind Lernkontrollen bei längeren freien Texten wie z.B. in Aufsätzen. Eine automatische Kontrolle scheidet üblicherweise aus. Wir üben deshalb oft „modulweise“, am Beispiel der Erörterung also erst einmal nur eine Einleitung schreiben, dann mal ein oder zwei Argumente aufbereiten, dann ein Schluss … Als Anwendung nutzen wir dafür Foren oder kollaborative Anwendungen wie Padlet oder Etherpad. In bestimmten Fächern und für ältere Klassen sind auch Wikis möglich, die uns aber für die SEK I als zu kompliziert erschienen. Längere Texte wie ganze Aufsätze lassen sich im pdf-, jpg-, oder Office-Format austauschen. Mit dem Notebook mit Touchscreen und dem dazugehörenden Stift kann man die Korrektur am Rechner durchführen wie auf Papier, allerdings auch nicht schneller. Solche umfassenden Korrekturen sind also nicht öfter machbar als bei normalem, reinen Präsenzunterricht.

Ein großes Augenmerk wurde darauf gelegt, unterschiedlichen Begabungen und Interessen gerecht zu werden. Zusätzliche Förderung wird im Rahmen des Präsenzunterrichts angeboten. Sind Schüler*innen dagegen interessiert, mehr zu einem bestimmten Thema zu erfahren, geben wir Tipps und Hinweise für weitergehende Informationen, ähnliche Themen etc.. Beispiel: in Geschichte finden interessierte SuS Informationen zu weiteren Quellen (Doku-Filme, Websites etc.), Museen zum Thema in der Umgebung, Hinweise, was in der Region zu der betreffenden Zeit passiert ist, aber auch Spielfilme, die sich mit der behandelten Thematik beschäftigen.

Da wir üblicherweise ohne Schülergeräte im Unterricht arbeiten, kann die Lernplattform im Präsenzunterricht nicht verwendet werden. Wir haben uns aber entschieden, alle im Präsenzunterricht vermittelten Inhalte, die genutzten Medien, Tafelbilder etc. auch im Kurs der Lernplattform zur Verfügung zu stellen. So kann die betreffende Gruppe jederzeit nachschauen, was behandelt wurde, welche Übungen gemacht und welche Medien genutzt wurden. Auch die im Unterricht verwendeten Arbeitsblätter konnten die SuS noch einmal ausdrucken. Abwesende Schüler*innen können also jederzeit nachvollziehen, was wir behandelt haben und den Stoff entsprechend nachholen. Auch zur Prüfungsvorbereitung ist diese Form der Bereitstellung eine erhebliche Arbeitserleichterung.

Entsprechend des Ansatzes von Flipped Classroom liegt der Schwerpunkt im Präsenzunterricht darauf, Fragen zu klären und Verständnislücken zu schließen. Im Schwerpunkt beginnen wir mit Fragen zum Verständnis, in einigen Fällen wird auf einer zu Hause erfolgten Lernerfolgskontrolle aufgesetzt. Mittlerweile entwickelt sich daraus regelmäßig eine lebendige Diskussion.

Im Online-Unterricht hat Kommunikation eine besonders große Bedeutung. Wir haben das Kommunikationskonzept zwischen Lehrkraft, Schüler*innen und Eltern auf den von der Schule verwendeten Messenger fokussiert. In Mebis haben wir aber einen Klassenkurs eingerichtet, in der auf einer Informationsseite auch andere Kontaktdaten (Email, Telefon etc.) bereitgestellt werden – nicht alle Eltern kommen mit dem Messenger zurecht. Das Vertrauen darin, dass die Lehrkräfte erreichbar sind und weiterhelfen war und ist Grundlage des funktionierenden Online-Lernens.

Aufwand

Zu Beginn war die Umsetzung arbeitsintensiv, weil die Struktur noch ungewohnt war und das Konzept auch verlangte, den Unterricht für das gesamte Jahr zu strukturieren und mindestens die nächsten Stunden in der Lernplattform fix und fertig vorzubereiten. Die Arbeitsbelastung war also in unserem Beispiel zu Beginn deutlich höher, später aber nicht oder maximal kaum mehr als bei ausschließlichem Präsenzunterricht. Da wir mit der Vorbereitung während der Sommerferien begonnen haben und ich als externe Unterstützung mit IT-Erfahrung und digitalem Unterrichten und Lernen den Prozess begleiten konnte, gab es keine dramatischen Engpässe in der Vorbereitung. Hätten die betreffenden Schulen und Fachschaften sich auf Arbeitsteilung verständigen können, wäre es sogar noch etwas einfacher gewesen.

Auch bei der Kommunikation ist der Aufwand nicht dramatisch. Zu Beginn gab es auf allen Kommunikationskanälen lebendige Aktivität sowohl mit Schüler*innen als auch Eltern. In dieser Zeit haben wir großes Augenmerk darauf gelegt, möglichst schnell und vollständig zu antworten. Das Volumen hat sich dann sehr schnell auf niedrigem Niveau eingependelt, heute sprechen wir über nicht mehr als durchschnittlich 1-2 tägliche kurze Nachrichten, zur Bearbeitung braucht man selten mehr als 5-10 Minuten am Tag.

Veröffentlicht von diggitall

Hochschul-Gastdozent für "Sales & eCommerce" und Aviation-Themen Unternehmensberater

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