Die Überforderung von Schulen und Lehrer*innen mit berufsfremden Aufgaben

Aufmerksam habe ich in den letzten Monaten Pressekonferenzen von Bildungspolitiker*innen zu Digitalisierungsthemen verfolgt. Für mich als „Wirtschaftler“ war auffällig, wie wenig konkret die vorgetragenen Maßnahmen zumeist waren. Auffällig war auch, wie oft dann auf Schulen und Lehrer*innen vor Ort verwiesen wurde, die das nun alles mit Leben füllen würden.

In Wirtschaftsunternehmen kenne ich bei derart herausfordernden Projekten ein anderes Vorgehen: Es wird ein übergreifendes Projektteam gebildet, das sich aus den unterschiedlichsten Experten zusammensetzt. Wo das eigene Know How des Unternehmens als nicht ausreichend erachtet wird, werden externe Spezialisten hinzugezogen. Vorausgesetzt, das Projekt wird gut geleitet, stehen am Ende einheitliche Ziele, Regeln etc. zur Verfügung, es besteht auch Klarheit darüber, welche Investitionen erforderlich sind, welches Training etc.. Es wurde definiert, wie Dinge inhaltlich ablaufen sollten (Prozesse), welche personellen und technischen (Hard-/Software) Ressourcen benötigt werden und Vieles mehr.

Im Schulbetrieb ist das in entscheidenden Elementen anders: Schulen und Lehrkräfte sind erheblich autonomer. Wo im Wirtschaftsbetrieb oft sehr klar definiert wird, wie gearbeitet werden soll, sind Lehrer*innen in der Gestaltung ihres Unterrichts sehr flexibel – Standardisierung ist eher verpönt. Ob diese Struktur im bisherigen Schulbetrieb angemessen war, kann und will ich nicht beurteilen. Im Zusammenhang mit der Digitalisierung wird eine solche Struktur jedenfalls nicht funktionieren, weil die Grundlagen der Digitalisierung übergreifende Standards und Aufgabenteilung erfordern.

Bei allen Chancen, die unsere neue Welt bietet, ist sie gleichzeitig auch mit einer erheblichen Komplexität verbunden. Schon die individuelle Hardware-Ausstattung ist ein Problem: was muss ein Notebook oder Tablet können? Um das zu entscheiden, muss man wissen und technisch beurteilen können, welche Infrastruktur die Schule hat und/oder beschaffen wird, aber auch, welche Anwendungen genutzt werden sollen. Nur wenige Lehrer*innen verfolgen den unübersehbaren Markt an Angeboten so intensiv, dass sie das alleine beurteilen könnten.

Hinzu kommen rechtliche Fragen: erfüllen die Anwendungen alle rechtlichen Vorgaben, z.B. Datenschutz? Gibt es urheberrechtliche Probleme? Sind die Anwendungen kompatibel mit anderen Geräten und Betriebssystemen, oder kann nachher die Hälfte der Schüler*innen gar nicht damit arbeiten, weil die Anwendung auf ihren Geräten nicht läuft? In Wirtschaftsunternehmen gibt es üblicherweise klare Konzepte, meist wird – wenn nicht die IT-Abteilung ohnehin alles organisiert – exakt definiert, welche Hard- und Software beschafft und genutzt werden kann. Solche Vorgaben (Whitelist) durch Experten sind unumgänglich.

Ein weiterer Unterschied: In Wirtschaftsunternehmen werden Einkäufe durch Fachabteilungen vorgenommen. Üblicherweise arbeiten dort Menschen, die eine mehrjährige kaufmännische Ausbildung absolviert haben. Solange Schulen keine großen Investitionen zu tätigen hatten, mag es unproblematisch gewesen sein, wenn die Entscheidungen durch die Schule bzw. bestimmte Lehrkräfte getroffen wurden – angesichts des Investitionsvolumens einer IT-Infrastruktur und auch möglicher Kostenvorteile (Mengenrabatte) muss der Einkauf von teurer Hard- und Software an Experten übertragen werden. Wo Verträge mit externen Dienstleistern geschlossen werden, muss auch beschrieben werden, wie die Leistung mindestens aussehen soll (Service-Level-Agreement).

Problematisch ist insbesondere auch der Betrieb der Infrastruktur. Häufig bleiben Installation, Wartung, Updates, Problemlösung / Reparatur und Schulung des Kollegiums ausgewählten Lehrkräften überlassen. Das wird in dieser Bündelung künftig nicht mehr funktionieren: man stelle sich eine Schule mit 30 Klassen vor. Wenn jeder Klassenraum über ein Notebook, eine Dokumentenkamera und einen Beamer verfügt, sind alleine das schon 90 Geräte, die zu betreuen sind. Und alles soll ja mit dem Internet verbunden werden, also müssen Router, Firewall etc. betrieben und so konfiguriert werden, dass sie die erforderliche Sicherheit gewährleisten. Das ist nicht profan: da in Schulen mit personenbezogenen Daten gearbeitet wird, müssen hier strenge Datenschutzvorgaben eingehalten werden. Diese Aufgaben erfordern fundierte Kenntnisse, die meist in entsprechenden mehrjährigen Berufsausbildungen oder Studiengängen erworben werden.

Lehrer*innen verfügen über eine anspruchsvolle Ausbildung, aber sie sind weder Experten für den Betrieb einer IT-Infrastruktur noch Kaufleute. Solche Aufgaben müssen an Experten bei Schulträgern, übergeordneten Schulbehörden oder externen Dienstleistern übertragen werden.

Veröffentlicht von diggitall

Hochschul-Gastdozent für "Sales & eCommerce" und Aviation-Themen Unternehmensberater

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